FESTREDE ANLÄSSLICH DER PREISVERLEIHUNG DER STIFTUNG PRO ARCHAEOLOGIA SAXONIAE 2006/2007 von Dr. Krzysztof Wojciechowski Collegium Polonicum Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
DEUTSCHE UND POLNISCHE ARCHÄOLOGEN IN KOMMUNIZIERENDEN RÖHREN. EIN BEITRAG ZUR ANALYSE DES GLOBALEN UNWETTERS.
Sehr geehrte Frau Coblenz, Sehr geehrte Vertreter des diplomatischen Corps, Sehr geehrte Vertreter der Stiftung Pro Archaeologia Saxoniae und der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft, Sehr geehrte Professorinnen und Professoren, Liebe Preisträgerinnen, Meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Sommer 1969 ist mir sehr stark in Erinnerung geblieben. Ich war damals dreizehn Jahre alt und begann die ersten Freiheiten eines Teenagers zu genießen. Nichtsdestotrotz haben mir meine Eltern einen Aufenthalt in einem Ferienlager im noblen Erholungsort unweit von Warschau, Podkowa Le¶na, besorgt. Nachdem ich mich richtig erholt habe, meinten sie, dürfte ich auf eigene Faust zelten fahren. Ich verbrachte also den Monat Juli mit anderen Jugendlichen in einer großen Villa aus der Zwischenkriegszeit, die in einem wunderschönen Garten gelegen war. Alle diese Jugendlichen waren Mädchen! Dank meines Onkels, der die Buchhaltung bei diesem Ferienlager geführt hat, konnte ich als einziger Junge einen Monat in einer Gruppe von 30 Mädchen verbringen. An drei Dinge aus dieser Zeit kann ich mich allzu gut erinnern. Das erste war die Fernsehübertragung der ersten Landung des Menschen auf dem Mond. Mit eigenen Augen habe ich den kleinen Schritt Neil Armstrongs gesehen, der zum großen Sprung für die Menschheit geworden ist. Wenn ich heute die Verschwörungstheorien lese, dass diese Aufnahmen vor der Expedition im Filmstudio gemacht worden seien, wovon tatsächlich sichtbare, unterschiedlich fallende Schatten der Masten und Menschen zeugen sollen, habe ich den Eindruck, dass man mich eines Stücks meines jugendlichen Idealismus berauben will. Mögen doch die Aufnahmen authentisch sein! Genauso authentisch wie der erste Kuss in meinem Leben, den ich einem Mädchen in dem wunderschönen Garten abgetrotzt habe... Das ist ein Thema für eine andere Story, aber eines muss ich noch erwähnen: den Besuch bei Professor Kazimierz Micha³owski. In derselben Straße, einige Hundert Meter weiter, auch in einer schönen Villa, hatte die Polnische Akademie der Wissenschaften das sog. „Haus der schöpferischen Arbeit“. Eine unserer Erzieherinnen hatte ausfindig gemacht, dass sich dort der legendäre polnische Archäologe zur Erholung aufhielt. Der Professor war einverstanden, unsere Gruppe zu empfangen und so verbrachten wir eine gute Stunde in seinem schattigen Kabinett und plauderten mit diesem weißhaarigen Mann mit aristokratischen Gesichtszügen über Archäologie und seine Arbeit. Die Fragen, die die Mädchen und auch ich stellten, würden die Erzieher der heutigen 13-jährigen Teenies absolut verwundern. Wir wussten vom Assuan-Staudamm in Ägypten, wir hatten gehört, dass der lange Nassersee, den unter dem Pharao Ramses II. erbauten Tempelkomplex bedroht, und dass Professor Micha³owski beschlossen hatte, den großen Tempel des Sonnengottes Amun-Re in Stücke zu zerschneiden und ihn auf einem Hügel, oberhalb des zukünftigen Wasserpegels wiederaufzubauen. Außerdem wussten wir auch, dass Professor Micha³owski so nebenbei in den Pausen bei den Bauarbeiten Ausflüge in den Sudan gemacht und dort den Tempel des Totmes III. und eine koptische Kathedrale in Faras entdeckt hatte. Die Überführung der Fresken aus dieser Kathedrale und ihre Ausstellung im Nationalmuseum in Warschau war beinahe ein nationaler Festakt, an dem ich und meine Eltern natürlich teilnahmen. Ja, Professor Micha³owski war einer der größten Archäologen der Welt. Die ganze Welt kannte ihn und bewunderte uns Polen sehr. Dieser Tatsache waren wir uns sicher. Tja... Die Theoretiker der Kultur sprechen heute viel von den Verhaltensmustern und den Paradigmen des Wissens, welche uns die Kultur vermittelt, von der identitätsstiftenden Funktion von Geschichten, die die Kultur pflegt und weitergibt, aber nur wenige sprechen von einer simplen Eigenschaft der Kultur, welche dieses soziale Phänomen mit einigen chemischen Substanzen wie z.B. Alkohol oder Drogen teilt. Die Kultur steigert bei den Mitgliedern einer Gemeinschaft den Pegel des Selbstwertgefühls. Angesichts der Artefakte, kulturellen Objekte und Aktivitäten, die Wissenschaft eingeschlossen, verspürt der individuelle Mensch einen Schub an Selbstsicherheit, an positiver Empfindung der eigenen Existenz und der Umgebung und einen Zufluss vitaler Kräften. Das Selbstwertgefühl ist das beste Vitamin für den Geist und auch für den Körper. Fast alles, was wir tun, von der Elternliebe über Konsum, Erotik, Politik, Religion und soziale Institutionen hat vorwiegend mit dem Selbstwertgefühl zu tun. Wir denken darüber nicht nach, aber wir pflegen dieses Gefühl in unzähligen Akten von morgens bis abends. Woraus hätten die Polen in den 60er Jahren ihr Selbstwertgefühl schöpfen sollen? Das Land lag noch weitgehend in den Trümmern des 2. Weltkrieges. Auf den ersten Modernisierungsschub sollte es noch einige Jahre warten. Das Zentrum von Warschau war eine Halbwüste mit emporragenden Überresten der Vorkriegsbebauung. Die westlichen Journalisten photographierten in Warschau mit Vorliebe die Pferdekarren und den stalinistischen Kulturpalast im Hintergrund, was mich, meine Eltern, alle Freunde und Verwandten zur Weißglut brachte. Wir wollten einfach nicht zu Kenntnis nehmen, dass wir ein armes, rückständiges Agrarland waren. Wir brauchten etwas, was uns betäubt, den Existenzschmerz lindert und etwas Farbe, sprich: Wert, in den Alltag bringt. Wir brauchten staatliche Propaganda, oder auch Radio Freies Europa, Sport, Religion, Kultur, wir brauchten die polnische Archäologie, den außergewöhnlichen Professor Micha³owski und leider auch den ganz gewöhnlichen Wodka. Der erste wesentliche Modernisierungsschub kam zu Beginn der 70er Jahre. Die damalige Staatsführung beschloss das Land gen Westen und auch gen andere Länder des Ostblocks zu öffnen. Ich nutzte diese politische Wende so gut ich konnte. Jedes Jahr bereiste ich ein Stück Europas und später der Welt. Aber die erste Reise führte 1972 in die DDR. Per Anhalter befuhr ich die ganze Republik, besuchte die Städte, Museen und Galerien und schloss auch Freundschaften. Hier in Dresden lernte ich die Familie Meurers kennen, die Mutter nahm mich mit ihrem Trabi auf der Landstraße mit und da ich vermutlich hungrig aussah, lud sie mich gleich zum Essen nach Hause ein. Zu der Tochter, Heidi, pflege ich bis heute mehrweniger intensiv Kontakt. In der Dresdner Galerie sah ich Kunstschätze, von denen das Polnische Nationalmuseum nur träumen könnte und auch die Kronjuwelen der polnischen Könige, die viel kostbarer waren, als das, was in den Schatzkammern in Krakau oder in Warschau aufbewahrt wurde. Die Reise endete in Berlin mit dem Besuch des Pergamonmuseums. Von den dortigen ägyptischen Sammlungen war ich überwältigt. Und ich litt gleichzeitig. Was war schon die Sammlung der Fresken von Faras im Vergleich zu dem gewaltigen Pergamonaltar, zum babylonischen Ischtar-Tor und der Prozessionsstraße ? Mein in den 60er Jahren, in meiner frühen Jugend angestautes, auf den Leistungen der polnischen Archäologie aufgebautes Selbstverständnis und Selbstwertgefühl sank, wie der Wasserpegel eines hochgelegenen Sees, der plötzlich durch eine Röhre mit einem tiefer gelegenen, größeren See verbunden wird. Dann kamen meine weiteren Reisen, unter anderem nach Kleinasien und Griechenland. Ich besichtigte Troja und las über Schliemanns Entdeckungen, ich erfuhr von der Existenz des „Schatzes des Priamos“, im türkischen Bergama konnte ich die Leistungen von Carl Humann und Theodor Wiegand kennen lernen. Weitere Lektüren und spätere Besuche in Berliner Museen vergegenwärtigten mir die Bedeutung von Heinrich Brugsch und Ludwig Borchardt. Im Laufe der Jahre gewann ich ein einigermaßen objektives Bild der Leistungen der nationalen Schulen der Archäologie in Europa. Die polnischen Leistungen sahen längst nicht so glänzend aus. Oder noch deutlicher gesagt: sie waren recht bescheiden. Nichtsdestotrotz pflegte ich die Hoffnung, dass die Verlegung der Tempel in Abu Simbel ein ewiges Denkmal des polnischen Beitrages zum Weltkulturerbe sein würde. Vor kurzem stieß ich in einem deutschsprachigen Text auf die Beschreibung der Rettungsarbeiten an Tempeln des Ramses II. in Abu Simbel. Es hieß: „Beim Bau des Assuan-Hochdamms drohten beide Tempel in den Fluten des Nassersees zu versinken. Daher wurden sie zwischen 1964 und 1968, unter Leitung von Ingenieuren des deutschen Bauunternehmens Hochtief, in 1.036 Einzelteile zerschnitten und anschließend 180 m landeinwärts sowie 64 m über dem alten Standort wieder aufgebaut“. Moment mal! Ich hatte geglaubt, nicht die deutschen Ingenieure vom Bauunternehmen Hochtief sondern der polnische Professor habe die Tempel gerettet! Ein deutscher Autor sieht das anders! Also doch: Die Spiele um das Selbstwertgefühl betreiben wir alle: Polen und Deutsche, Einzelpersonen, Gruppen, Regierungen, Firmen, Staaten, Kulturen und Religionen. Wir betreiben sie bewusst, unbewusst, halbbewusst oder unterbewusst. Die Fakten des Alltags, der Geschichte, der Kultur, der Wissenschaft und der Technologie werden so dargestellt, dass sie möglichst viel Wert ausstrahlen und dass der Darstellende und seine Gemeinschaft möglichst viel von diesem Licht abbekommen. Offensichtlich hat dieses Bestreben seinen Ursprung in der Evolution. Wir alle sind Herdentiere und unser Wohlergehen, das heißt der Zugang zu allen möglichen Ressourcen hängt von unserem Stellenwert auf der Hierarchieleiter der Herde ab. Durch Rückkopplung der Position und des Selbstwertgefühls entsteht der Eindruck, dass je höher das Selbstwertgefühl, desto besser unsere tatsächliche Lage. In diesem Sinne produzieren wir, biologische Wesen, ständig Kultur, Wissenschaft, Religion und die mediale Sphäre, um unterbrochen in einer mehr oder weniger dichten, wohltuenden Illusion zu verweilen. Leider gibt es in einer Herde nur eine begrenzte Zahl Plätze auf jeder Stufe. Und um diese Plätze herrscht ein ständiger Konkurrenzkampf. Die Evolution hat uns mit einem Sinn ausgestattet, der ständig unsere Lage und die der anderen abcheckt. Wo bin ich? Steige ich auf oder rutsche ich hinunter? Bin ich besser oder bin ich schlechter? Wo sind die anderen? Steigen sie auf, um mich automatisch zu degradieren oder rutschen sie runter um mich aufsteigen zu lassen? Dank dieses Sinnes entsteht um uns herum ein tausendfaches System kommunizierender Röhren, in denen goldene Flüssigkeit hin und her fließt. Flüssigkeit, die zwar keinen substanziellen Charakter hat, sich aber in Vitalität und Energie verwandelt so, wie Wasser oder Benzin . Der simpelste Zusammenhang zwischen zwei Enden einer Röhre ist der, dass die Senkung des Pegels der Flüssigkeit am anderen Ende den Anstieg an meinem Ende bedeutet. Die Abwertung des anderen steigert unser Selbstwertgefühl. Diesen Mechanismus bedienen wir hundertfach jeden Tag. Am Morgen, in der Eile können wir den Autoschlüssel nicht finden. Wir werden nervös und unsicher. „Liebling, welcher Idiot hat schon wieder den Autoschlüssel versteckt?“ - fragen wir nett unsere Partnerin oder den Partner. Eine kleine Schuldzuweisung an eine andere Person und unser Selbstwertgefühl steigt schon ein bisschen. „Liebling, guck doch in den Spiegel, dann siehst du den Idioten!“ – antwortet genauso nett unsere Partnerin oder Partner. Und das Selbstwertgefühl scheint sich wieder einzupegeln, was uns zugänglicher, kooperativer und offener macht. Vorausgesetzt wir wissen, wann man das Spiel abbrechen soll. Tun es die Staaten anders? Ach wo! Die Staaten mit ihren Spielchen um das Selbstwertgefühl verhalten sich wie unmündige Menschen. Die Simplizität und Infantilität der Mittel verblüfft immer wieder. Um Russland, den ewigen moralischen Feind zu demütigen, engagiert sich Polen sehr stark für die Unterstützung der orangefarbenen Revolution in der Ukraine. Russland rächt sich mit einem Einfuhrverbot für Fleisch aus Polen. Polen dagegen blockiert die Gespräche der Europäischen Union mit Russland über die strategische Partnerschaft. Russland erwägt dagegen ein Einfuhrverbot von allen pflanzlichen Produkten aus dem Nachbarland. Es ist ein Spiel, bei dem die Vernunft schläft. Das verseuchte Fleisch, welches den Vorwand zum Einfuhrverbot gab, stammte gar nicht aus Polen. Das wissen alle. Und das Blockieren der Verhandlungen mit Russland gefährdet essenzielle polnische Interessen. Aber der Drang nach dem wertemäßigem Aufbau des kollektiven Egos ist stärker als alle rationalen Argumente. Und wie steht es mit den Ego-Spielen zwischen Deutschland und Polen, was tut sich hier in kommunizierenden Röhren? In den Jahren 1991 bis 2004, das heißt bis zum Beitritt Polens zur EU, herrschte in beiden Ländern die Meinung, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen seien in den letzten 1000 Jahren noch nie so gut gewesen. Die beiden Partner brauchten sich gegenseitig. Für die Polen war Deutschland der Botschafter der polnischen Sache bei der EU, für die Deutschen war der Beitritt Polens die Chance, aus einem Problemfall hinter der östlichen Grenze ein stabiles, demokratisches, einigermaßen wohlständiges und in die Mechanismen der EU gebundenes Land zu machen. Beide Seiten werteten sich gegenseitig auf. Die Polen lobten die Deutschen als wahre Europäer und menschliche Nachbarn, die Deutschen lobten Polen als Wirtschaftstiger Osteuropas und als ein Land, welches mit seinem Kampf gegen Totalitarismus zum Fall der Mauer beigetragen hatte. Die deutsch-polnischen Beziehungen galten als Muster der Versöhnung nach dem Albtraum der Geschichte. Zu einer kleinen Verstimmung kam es im Jahr 2003. Als im Frühjahr die polnische Regierung erklärte, sie möchte sich als drittstärkste Kraft bei der Invasion in den Irak beteiligen, ging eine Welle Empörung durch die deutsche und zum Teil auch durch die französische Presse. „Trojanischer Esel Europas“ nannten einige Journalisten Polen, und das einfache Volk in Deutschland spendete Beifall. Diese stark herabwertende Bezeichnung zeigt eindeutig, worum es ging: Polen hatte nach dem Status eines Global Players gegriffen, welcher diesem ärmlichen Land gar nicht zusteht. Dann müsste dieses Land verbal in die Schranken verwiesen werden. Selbstverständlicherweise erntete Spanien, welches viel aktiver bei der Vorbereitung des Irakkrieges war und mit fast der gleichen Zahl Soldaten beteiligt war, weder Spott noch ernsthafte Kritik. Man kann die Sache hundertfach interpretieren, auch von der polnischen Seite. Aber selbst bei den Polen ging es offensichtlich um das Selbstwertgefühl. Und zwar das der regierenden Elite. Global Player zu sein ist doch ein berauschendes Gefühl, selbst wenn 80% der eigenen Bevölkerung gegen die Teilnahme an der abenteuerlichen Aktion waren. Dann kam der Mai 2004 und der polnische Traum ging in Erfüllung. Wir wurden Mitglied der EU, wir haben endlich „in der ersten Liga gespielt“ (so der damalige Präsident Polens, Kwasniewski). Kaum aber war die Beitrittsparty zu Ende, beschloss im September 2004 das polnische Parlament nur mit einer Stimme Enthaltung die Forderung nach Reparationszahlungen von Deutschland für den Zweiten Weltkrieg. Die deutsche Regierung und die deutsche Öffentlichkeit waren absolut irritiert. Kriegsreparationen, 60 Jahre nach dem Krieg, nach dem Beitritt zur EU? Was soll das Ganze bedeuten? Ich hatte die seltene Gelegenheit, den politischen Gesprächen beizuwohnen, die diese gewaltigen deutsch-polnischen Spannungen abbauen sollten. Im November 2004 trafen bei mir, im Hause, im Collegium Polonicum, der gemeinsamen Einrichtung der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/(O) und der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan, die Präsidien des Sejm und des Bundestages zusammen. „Warum tut ihr das? Wir sind völlig irritiert!“ – war der Tenor der Ansprache von Wolfgang Thierse. „Wir konnten nicht anders. Die ganze Nation schaute auf uns“ – erwiderte Jozef Oleksy. Und zwischen den Zeilen konnte man wiederum lesen: SELBSTWERTGEFÜHL. In den Augen der Polen, ändere Deutschland radikal seine bisherige Politik gegenüber dem Nachbarland. Die Kritik wegen des Irakkrieges demütige Polen. Die Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen solle die neue deutsche Geschichtsauffassung anbahnen. Die Deutschen seien nicht mehr Täter sondern ab jetzt Opfer. Die Vertriebenenverbände unter Anführung einer aggressiven jungen Dame, Frau Steinbach, erheben das Haupt. Und das Schlimmste: die Preußische Treuhand erhebe den Anspruch auf ein Drittel des polnischen Territoriums. Was tue die Bundesregierung? Nichts. So wie damals in der Weimarer Republik schaue sie tatenlos dem aufsteigenden Bösen zu. Diese Formulierungen sind zwar nie in dieser krassen Form gefallen, aber das Präsidium des polnischen Sejm äußerte sich eindeutig: „so sehen die polnische Presse und das polnische Volk die Dinge. Wir mussten entschlossen reagieren und Stärke zeigen. Von euch verlangen wir: tretet diesen Tendenzen entschlossen entgegen und übernehmt Haftung für die Forderungen der Preußischen Treuhand“. Vergeblich versuchte die deutsche Delegation die Dinge herunterzuspielen sprich abzuwerten: „die Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen ist eine von vielen Diskussionen in einer demokratischen Gesellschaft. Sie widerspiegelt auf keinen Fall die Haltung der Bundesregierung. Außerdem seien die Polen zum Mitdiskutieren und Mitmachen herzlich eingeladen. Wer ist schon Frau Steinbach? Politisch gesehen – ein Niemand! Preußische Treuhand? Ein paar Verrückte, die nicht einmal einen Anwalt finden können! Eine absolute Randerscheinung einer pluralistischen Gesellschaft, die keiner kennt und die null Einfluss auf die Politik hat!“ Ich weiß nicht mehr, wie man auseinander gegangen ist. Vermutlich hat man beschlossen, weitere Konsultationen durchzuführen. Aber die Meinungsunterschiede blieben unausgeräumt. Und so sind sie es bis heute. Die Wahl der neuen Regierung hat sie sogar verschärft. In den Augen der Deutschen provozieren die Zwillingsbrüder Kaczynski und ihre Koalitionspartner immer wieder neue – zwar kleine aber doch spürbare – Spannungen im deutsch-polnischen Verhältnis. Ihre Vorwürfe sind irrational. Ihre Forderungen – unrealistisch. Warum tun sie das? Wir wollen natürlich die vielfältige und vielschichtige deutsch-polnische Realität unter dem Aspekt des Spiels um das kollektive Selbstwertgefühl analysieren. Ein Motiv dürfen wir aber nicht verfolgen. Es ist eine psychoanalytische Beobachtung, dass kleine Menschen sehr oft unter Minderwertigkeitskomplexen leiden und diese mit oft auffälligen und für die Gemeinschaft nicht immer konstruktiven Aktivitäten kompensieren. Hier ist der Tiefenpsychologe gefragt und außerdem vertreten wir die altmodische Meinung, dass den obersten Trägern der Staatswürden der entsprechende Respekt gebührt. Sonst lautet unsere Diagnose so: Der EU-Beitritt Polens ist nur eine symbolische Zäsur in einem Prozess, der Mittelosteuropa nach dem Fall des realen Sozialismus erfasst hat. Wir nennen ihn „Europäisierung“ und halten ihn für nichts anderes als eine lokale Variante der Globalisierung. Infolge dieses Prozesses wurde die polnische Gesellschaft gespalten. Ungefähr die Hälfte erlebte einen Aufstieg in bisher unbekannte Regionen. Die Reallöhne stiegen um ein Vielfaches. Die Möglichkeiten das Leben zu entfalten wurden enorm, die politische Freiheit zeigte ihre schönen Seiten. Ungefähr die Hälfte der polnischen Gesellschaft erreichte den Lebensstandard der westeuropäischen Mittelklasse und wurde europäisch, liberal, offen und kooperativ. Aber die Hälfte ereilte ein anderes Schicksal: Selbst wenn die Läden voll sind, können sie sich mit ihren Hilfsarbeiterlöhnen, Renten oder Arbeitslosenunterstützung wenig leisten. Das soziale Klima ist für sie kalt geworden. Ihre Spielräume wurden eingeengt. Die vertrauten Kulissen ihres Lebens (patriotische Zeremonien, Mythen über Heldentum aller Polen und die aus dem Kommunismus überlieferte Überzeugung, ein einfacher Mensch sei das Salz dieser Erde) geraten unter dem Druck der globalen, medialen Realität ins Wanken. Selbst die Zeit der neuen Realität läuft so schnell, dass man kaum bemerkt, was die Bilder und die Worte bedeuten. Und wie sieht die Zukunft aus? Ohne Fremdsprachenkenntnisse, ohne berufliche Qualifizierung und ohne Kraftreserven – sehr düster. Diese Menschen erlitten trotz des rasanten zivilisatorischen Fortschritts Polens einen gewaltigen Zusammenbruch des Selbstwertgefühls. Was das bedeutet, brauche ich hier, in einem neuen deutschen Bundesland, nicht zu erzählen. Selbst hier, wo der materielle Fortschritt in den letzten 15 Jahren immens war, kennt man allzu gut das Gefühl ausgegrenzt zu sein, nicht gebraucht zu werden, und ungerechterweise des Lebenssinns beraubt zu werden. Das Gefühl der Demütigung hat überraschende Facetten. Selbst eine edle, gerechte und wohltuende Handlung, durchgeführt mit fremden Händen, beraubt einen des Selbstwertgefühls. Als ich 2004 im Collegium Polonicum einmal Kurt Biederkopf fragte, was er nach der Wende hätte anders machen sollen, antwortete er: "Ich hätte meinen ostdeutschen Landsleuten das Gefühl verleihen müssen, selbst die Verantwortung für ihr Schicksal zu tragen". Im Juni 2006 führte das bekannte National Opinion Research Center an der Universität von Chicago eine Studie durch, in der 34 ausgewählte Nationen auf ihren Nationalstolz (sprich: Selbstwertgefühl) geprüft wurden. Den ersten Platz belegte wer? Natürlich die USA! Auf dem vorletzten Platz rangierten wir, Polen, was ein überraschend schlechtes Ergebnis war. Das Einzige, worauf wir einigermaßen stolz waren, waren polnische Militäreinsätze im Ausland. An letzter Stelle rangierte... wer? Die ehemalige DDR, das heißt die neuen Bundesländer. Ja, meine Damen und Herren, wir sind wirklich im Zentrum eines bedürftigen Gebietes! Es gibt also Millionen Polen, die durch den historischen Prozess in der Tiefe ihrer Seele Verluste an Selbstwertgefühl erlitten haben. Was tut ein Mensch in solch einer Situation? Das wissen wir schon: er wertet sich selbst auf oder andere ab. Die Selbstaufwertung der Massen liegt auf der Hand: Anstieg an Nationalismus, religiösen Gefühlen, historisch bewerteten Verhaltensschemata (Heldentum, rebellische Haltung, Anecken bei stärkeren Nachbarn), nostalgische Forderungen (in Polen wird die par excellence kommunistische Forderung nach hohen Mindestlöhnen, sozialer Sicherheit und der starken Hand des Staates mit – im Gegensatz zu den neuen Bundesländern – antikommunistischen Symbolen ausgeschmückt, zum Beispiel mit dem Symbol der Solidarnosc. Daraus wird die Idee des „solidarischen Staates“ geschmiedet – eine der politischen Losungen der regierenden Partei. Die Abwertung der anderen vollzieht sich im Innen- und im Außenverhältnis. Nach innen jagt man Homosexuelle, Kollaborateure des damaligen kommunistischen Staates, Liberale und Verräter aller Couleur. Nach außen jagt man – wie immer – die Nachbarn. Spezifisch auf Deutschland bezogen hat dieses aus den Tiefen der kollektiven Seele bei einem Teil der polnischen Gesellschaft aufsteigende Ressentiment zwei weitere wichtige Aspekte. Es sind die Asymmetrie und die Umbruchstendenzen. Die Asymmetrie... Versuchen Sie sich beim Kaffeetrinken auf dem Sofa neben einen Menschen zu setzen, der vier Meter groß ist, 300 Kilo wiegt und auf Sie aus beängstigender Höhe herabschaut. Selbst wenn er ein Engel ist, werden Sie sich nicht auf nette Plaudereien beschränken können. Mit Ihrem ganzen Wesen werden Sie sich nur auf einen Gedanken konzentrieren: wird mich der Typ auch nicht zerquetschen? Wird er mir nicht mit einer unkontrollierten Bewegung die Kaffeetasse aus der Hand schlagen, wird er nicht beim Umschlagen der Beine den ganzen Tisch umwerfen? Bei einer Nachbarschaft, die durch eklatant asymmetrische Potentiale gekennzeichnet ist, tendiert der kleinere zu hysterischen Reaktionen, zur Überschätzung der Gefahren, die von dem Größeren ausgehen und zu dem ständigen Gefühl, ignoriert, unterschätzt oder gedemütigt zu werden. Asymmetrische Völkerpaare sind aus der Weltgeschichte, selbst aus der Gegenwart sehr gut bekannt: Amerika und Mexiko, Großbritannien und Irland, Polen und Litauen, Serbien und Bosnien, Russland und das Baltikum usw. Der Größere hat dabei den psychischen Komfort: die eigene Überlegenheit fällt gar nicht auf, sie wird sogar durch ihn als Normalzustand empfunden. Als Normalzustand wird auch die innere Verwandlung empfunden. Das durch relative Schwäche und gewisse Minderwertigkeitskomplexe sensibilisierte polnische Ohr hört im inneren der deutschen Identität Töne, die anders klingen als in den letzten 60 Jahren. Der Schock des 2. Weltkrieges und die Gräueltaten der Nazis versetzten nach dem 2. Weltkrieg große Teile der deutschen Elite in einen spezifischen geistigen Zustand. Die Quintessenz dieses Zustandes war ein permanentes Schuldbekenntnis und – nach außen – der Verzicht auf den Status, der einem wirtschaftlich mächtigen sowie kulturell erstklassigen europäischen Land zustehen würde. Die Publizisten bezeichneten die Bonner Republik mit einer ambivalenten Bezeichnung „Wirtschaftsriese – politischer Zwerg“. Deutschland verweilte 50 Jahre lang freiwillig in geduckter Stellung, was vermutlich ein Glücksfall für die europäische Entwicklung war. Das größte europäische Land reduzierte sich künstlich auf ein Maß, welches eine harmonische Teamarbeit gewährleisten konnte. Die Prozesse im Osten Deutschlands verliefen ähnlich, obwohl sie hinter anderen Facetten versteckt waren. Die wohltuende Wirkung des freiwilligen – und nicht nur freiwilligen Verzichts auf hohen Status bzw. das Einverständnis mit der Reduktion, das durch andere oktroyiert wurde, liegt wiederum im Bereich der kommunizierenden Gefäße des Selbstwertgefühls. Die negative Korrelation des Pegels des Selbstwertgefühls in kommunizierenden Gefäßen (ich werte den anderen ab um mich aufzuwerten, er reagiert ebenso und ein Konflikt schaukelt sich von alleine hoch), ist nämlich nicht das einzige Mögliche. Die Evolution hat den in hierarchischen Strukturen lebenden Wesen ein Instrument gegeben, mit dem sie sehr schnell Konflikte beilegen können. Es reicht, wenn sie ein Signal geben, sie verzichten auf den Anspruch auf eine höhere Position in der Hierarchie. Dieses Signal kann ganz simpel sein. Zum Beispiel sich körperlich etwas kleiner machen. Wenn man einem Menschen begegnet, dann – um ihn positiv das heißt friedlich und kooperativ zu stimmen – macht man sich für eine Sekunde einfach kleiner. Man nennt das „Begrüßung“. Unser Alltag ist voll von verschiedenen Selbstabwertungsritualen, die als Zeichen der Demut, der Reue, des Schuldbekenntnisses oder einfach als Elemente einer sympathischen und umgänglichen Persönlichkeit fungieren. Und all diese Zeichen und Rituale haben eine große Wirkungskraft. Jemand, der auf das Diktum „Liebling, welcher Idiot hat den Autoschlüssel versteckt?“ mit den Worten antwortet „Schatzi, kann sein, dass ich es war. Sei mir bitte nicht böse, ich helfe dir gleich zu suchen“ wird bestimmt mit der Umstimmung des Partners rechnen können. Wenn der Schlüssel gefunden ist, wird er bestimmt zu hören bekommen „Danke, Liebling. Es tut mir leid. Ich bin heute irgendwie gereizt...“. Tjaa... „Mit dem Hut in der Hand kommt man durchs ganze Land“. Auch durch ganz Europa. Allerdings unter einer Bedingung: dass das Reservoir, aus dem man freiwillig die goldene Flüssigkeit ablässt, genug Vorräte hat. Nur souveräne, innerlich stabile und selbstsichere Personen (oder Staaten) können frei mit Selbstaufwertungsmechanismen umgehen. Auch Personen oder Staaten, die Kompensationsmechanismen entwickelt haben. Deutschland verlagerte nach dem 2. Weltkrieg die Quellen des Selbstwertgefühls aus traditionellen Bereichen wie Symbole, eigene Geschichte, militärische Macht und politische Bedeutung in Ersatzbereiche, wie materieller Wohlstand, soziale Marktwirtschaft, föderative Struktur oder Umweltbewusstsein. Alles lief gut, solange die in den 50er und 60er Jahren angesammelten Finanzpolster jeden eventuellen Stolperschritt in diesen Bereichen abfederten. Aber – das wissen wir alle – „die fetten Jahre sind vorbei“. Das kollektive Wesen „Deutschland“ beginnt unterbewusst nach alternativen Quellen des Selbstwertgefühls zu suchen. Es greift zu erprobten Mitteln wie Symbole, militärische Präsenz oder... das eigene Leiden. Warum das Leiden bei Menschen - im Gegenteil zu allen anderen Lebewesen - die Quelle des Selbstwertgefühls ist, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Aber es ist eine Tatsache. Die späte Aufmerksamkeit, geschenkt den Opfern der englischen und amerikanischen Bombardements der Städte, das Mitgefühl mit den Vertriebenen und die vorsichtige Wiederentdeckung des Patriotismus in den Fußballstadien sind nichts anderes als Kompensation für Harz IV, Pisa-Studie und Abwanderung von Arbeitsplätzen. Und es ist auch gut so. Deutschland hat das Recht nicht nur mit sich selbst zufrieden, sondern auch auf sich selbst stolz zu sein. Wir wollen ein stabiles, kooperatives und europäisch gesonnenes Deutschland. Und solch ein Deutschland muss das entsprechende Reservoir an Selbstwertgefühl haben. Sonst ist es nicht in der Lage nachhaltig das in Europa zentral gelegene Netzwerk von kommunizierenden Gefäßen zu gestalten. Das müssen wir Polen begreifen. Die Kostprobe dieses wohltuenden Handwerks in deutscher Ausführung hatten wir vor einigen Tagen. Die Bundeskanzlerin zog während ihres Aufenthaltes in Polen alle Register der edlen Klempnerei. Sie wertete die polnischen Nachbarn auf, sie wiederholte auch alle traditionellen deutschen Rituale der Demut. „So viele freundliche Gesten unserem Land gegenüber hat noch kein deutscher Kanzler getan“ schrieb die größte polnische Zeitung auf der ersten Seite. Ja, Hut ab vor der geduldigen und geschickten Politik der deutschen Regierung. Ob diese Politik nicht nur technisch perfekt, sondern auch klug ist und au innerer Überzeugung kommt, wird sich noch zeigen. Nur aus innerer Überzeugung herrührende Verzicht auf eine protektionistische Haltung (die viele Deutschen mit Hilfs- und Kooperationsbereitschaft verwechseln), nur eine Anerkennung der wirtschaftlich schwächeren Partner als vollwertige Subjekte der europäischen Politik, werden nachhaltig stabile Verhältnisse in der zentralen Region Europas schaffen. Ob Andersdenkende zu trojanischen Eseln oder zu Zugpferden kreiert werden, hängt weitgehend von uns selbst ab. Jetzt müssen wir eine schwierige Frage stellen: haben wir Polen genug innere Stärke und Souveränität um ab und zu „Verzeihung“ zu sagen, eigene Fehler zuzugeben oder einem größeren Nachbarn einen Schub an Selbstwertgefühl zu gönnen? Damals, als Prof. Michalowski noch der größte Archeologe der Welt war, war ich der moralischen Größe der polnischen Nation sicher. Der freiwillige Zusammenschluss Polens und Litauens im 15. Jh., die Toleranz in der Adelsrepublik des 16-18 Jh., die Rechte der Minderheiten in Polen in der Zwischenkriegszeit – davon habe ich in der Schule lelernt. Über den Brief der polnischen an die deutschen Bischöfe von 1965 mit den Worten „Wir verzeihen und bitten um Verzeihung“ und über den milden und toleranten polnischen Kommunismus sprach ich mit meinen Eltern zu Hause. Den Runden Tisch von 1989, an dem die polnischen Oppositionellen gemeinsam mit denjenigen, die sie noch vor einigen Jahren in Gefängnisse steckten, das Fundament für die demokratische Zukunft legten, hielt ich für das historische Aushängeschild des freien Polens und den Prüfstein für moralische Stärke meines Volkes. Heute, nach 15 Jahren, erlebe ich in meinem Land mehr oder weniger sichtbare Anzeichen des Nationalismus, Xenophobie, Hasses gegen homosexuelle und Juden… Es werden großangelegte Jagten auf Verbrecher, vermeintliche Verräter und Feinde der Nation organisiert. Ich höre Töne, die ich zeitlebens in meinem Lande nie gehört habe. Es gurgelt richtig in den kommunizierenden Röhren. Wenige berauben viele des Selbstwertgefühls, um sich selbst aufzuwerten… Offensichtlich muss sich ein dunkler Teil der menschlichen Natur ab und zu ausleben und jemand, der behauptet, er wäre ein für allemal frei von diesen Tendenzen, irrt tragisch. Ja… Die Voraussetzungen für das edle Spiel um einen ausgeglichenen Pegel des Selbstwertgefühls im europäischen System der kommunizierenden Röhren müssen jeden Tag aufs Neue geschaffen werden. Genauso wie im globalen Maßstab. Was ist schon die Triebkraft des heutigen Terrorismus? Doch nicht Hunger, Ausbeutung, koloniale Unterdrückung und Perspektivlosigkeit der an den Rand gedrängten Länder. Es ist das Gefühl, durch die dominierende westliche medial Vermittelte, Zivilisation amerikanischer Prägung im eigenen Hause, quasi in eigenen Augen abgewertet zu werden. Dieses bedrückende Gefühl der Abwertung kann – nach dem ersten Prinzip der kommunizierenden Röhren – nur durch die radikalste Senkung des Pegels auf der Seite des Gegners erreicht werden: durch seine symbolische Zerstörung. Und der 11. September zeigte, dass dieses Prinzip hervorragend funktioniert. Ist es nicht eine Sisyphus-Arbeit, ständig bereit zu sein, seine eigene Position kritisch zu hinterfragen, sich selbst einzuschränken und den Anderen aufzuwerten und zu fördern? Für Menschen, die nicht unbedingt an Gott glauben, die nicht das Gefühl haben, durch ihr Tun Punkte für das Jenseits zu sammeln, liegt das an der Grenze des Machbaren. Dennoch ist es möglich. Wir haben in unserem europäischen – und auch deutsch-polnischen-Alltag viele Beispiele bewährter und auch neuerrichteter Strukturen, in denen die goldene Flüssigkeit Herz und Gewissen der Nachbarn speist. Mit einem erbauenden Beispiel haben wir hic et nunc zu tun. Eine deutsche Stiftung verleiht Preise an junge Polen und Tschechen… „Der Wunsch der Stifterin, der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft mbH, ist es, über die Förderung der Archäologie den grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Dialog zu intensivieren, das Wissen über die gemeinsame Vergangenheit zu mehren, wissenschaftliche Exzellenz auszuzeichnen sowie innovative Ideen und Forschungsansätze zu unterstützen“ heißt es in der Präambel des Statuts. Es ist aber nicht der tiefste Sinn des Vorhabens. Die Preisträger werden zwar für ihre Leistung belohnt, bekommen aber einen Bonus, von dem sie in Zukunft etwas Anderen abgeben werden. Und ob in der Zukunft die, die durch die Preisträger weiter beschenkt werden, Ukrainer oder Slowaken sei, spielt keine Rolle: das edle Handwerk der wertemäßigen Pflege der Wissenschaft, der Kultur und der Nachbarschaft wird fortgesetzt. Ruhm und Dank der Stifterin, Ruhm und Dank den Preisträgerinnen, Ruhm und Dank allen, die zu der heutigen Zeremonie beigetragen haben. Gemeinsam werden wir es schaffen, dem Verbindenden, dem Ausgleichenden und dem Friedlichen selbst in schwierigen Zeiten einen gebührenden Glanz zu verleihen! |
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